Du wirst in ein tiefes Loch fallen! Du bist noch zu jung, um nie mehr zu arbeiten! Die Langeweile wird dich umbringen! Du fängst an zu trinken. Das sind nur einige der Bedenken, die unsere Freunde und Bekannte hatten, als wir von unserem Plan, vorzeitig mit dem Arbeiten aufzuhören, erzählten. Alle reagierten mehr oder minder verständnislos auf unsere Ankündigung, künftig nicht mehr zu arbeiten und unser Leben zu genießen, obwohl dieser Schritt einen enormen finanziellen Einschnitt bedeutete. Wie ist es uns in den letzten 12 Monaten ohne Arbeit ergangen? Welche der Prognosen ist eingetroffen? Wer hat bis jetzt recht behalten? Sind wir total verlottert und haben die Kontrolle über unser Leben verloren?
Die Kündigung – Komisches Gefühl
Komischerweise ist es schwerer, einen Job aufzugeben, als ihn zu bekommen. Das zumindest war mein Eindruck. Innerlich hatte ich schon lange gekündigt. Doch wie viele andere auch steckte ich in der Bequemlichkeitsfalle fest. Gutes Geld und kurzer Arbeitsweg. Das waren die Hauptargumente. Schon lange hatte ich das Gefühl, wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen zu müssen. Wer jetzt glaubt, dass mit der Unterschrift im Aufhebungsvertrag ein unglaubliches Glücksgefühl von mir Besitz ergriff, der liegt völlig falsch. Ganz im Gegenteil. Trotz unserer feststehenden Pläne nach Lanzarote auszuwandern, ist es Unsicherheit, die einen überkommt.
Das ungute Gefühl legte sich jedoch schnell. Und wer mich/uns kennt, weiß, dass wir Dinge erledigen. Ohne „Wenn“ und „Aber“. Wenn wir eine Entscheidung getroffen haben, tragen wir auch die Konsequenzen und setzen alles daran, unser Ziel zu erreichen. Zaudern und hadern muss für die Dauer der Umsetzung aus dem Mindset gestrichen werden. Es gab und gibt immer wieder Momente, die uns verunsichern. Immer wieder drängen sich Fragen ins Gehirn: Was wäre wenn – hätte, hätte Fahrradkette! Wir können eines: solche Fragen ignorieren.
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Den eigenen Weg gehen – Nicht auf andere hören
Mit Covid und Homeoffice verging die Zeit vor dem Ende unserer beider Arbeitsleben wie im Flug. Zack, waren sechs Monate um. Natürlich haben wir während der Zeit vieles für unser großes Lebensziel abgearbeitet. Krankenversicherung, Rentenversicherung geklärt, Wohnungskauf angestoßen, Finanzen und 100 andere Dinge haben wir versucht, so gut wie möglich zu regeln. Manchmal waren wir der Verzweiflung nahe. Ein großer Faktor in unserer Planung war immer die Krankenversicherung. Das scheint uns der wichtigste Punkt im Alter. Und genau hier haben wir die größten Hindernisse und zeitintensiven Recherchen zu verbuchen.
Wer 10 Jahre früher aus dem Arbeitsleben aussteigt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass der weitere Versicherungsverlauf einen großen Einfluss auf den Versicherungsstatus als Rentner hat. Unser angestrebtes Lebensmodell scheint relativ selten zu sein. Im Internet, das eigentlich alles weiß, waren immer nur Andeutungen zu finden, keine konkreten Hinweise. Das hat uns natürlich weiter motiviert, das Problem zu lösen. Mit sehr viel Zeit und noch mehr Telefonaten konnten wir dieses Hindernis dann aus dem Weg räumen. Bis kurz vor unserer Abreise im Dezember war dieser Punkt völlig ungeklärt und hat uns quasi die davor liegenden 365 Tage beschäftigt.
Alles Unnötige loswerden – Arbeiten und großer Kehraus
Neben materiellen Dingen haben wir uns auch von vielen anderen Sachen getrennt. Unsere gesamten Versicherungen haben wir gesichtet und größtenteils gekündigt oder beitragsfrei gesetzt. Ebenso haben wir unsere Bankkonten und Kreditkarten auf ein Minimum reduziert. Wobei immer noch viele übrig blieben und einige in Spanien hinzugekommen sind. Unsere Verträge mussten fristgerecht gekündigt werden. Amazon Prime, Kabel-TV, GEZ, Müllabfuhr, Hundesteuer und hundert Sachen mehr sind wir los geworden. Dutzende Ordner haben wir durchforstet und auf einen maximal reduziert. Die Eltern mussten entsprechend mit ab-, um- oder angemeldet werden. Notarbesuche für den Hausverkauf, Arztbesuche und 1000 andere, teils ganz profane Dinge, galt es zu lösen. Im Handumdrehen waren weitere fünf Monate um.
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Es gibt kein Zurück mehr – Die Eltern gehen vor uns nach Lanzarote
Noch vor drei Jahren waren wir gar nicht so sicher, ob unsere Pläne wirklich umgesetzt werden oder nur Hirngespinste bleiben. Der Kauf unserer Wohnung hat dem Projekt nochmals einen Schub gegeben. Ebenso das Verhalten unserer Arbeitgeber. Aber der wirkliche Nachbrenner war die Entscheidung von Susannes Eltern, mit uns auf die Insel überzusiedeln. Ab diesem Zeitpunkt hätten wir jedwedes Hindernis auch mit Gewalt aus dem Weg geräumt. Unsere Deadline rückte mit Riesenschritten näher und unsere Nervosität stieg. Unglaubliche Zeitfresser waren die vielen Behördengänge. Unzählige Termine konnten nur online vereinbart werden und waren kaum zu bekommen. Danke Covid, dass du uns das ganze erschwert hast, grumpf!
Die Zeit fliegt – Immer schneller
Wie das so ist, vergeht Zeit umso schneller, je mehr zu erledigen ist. Uns ist jetzt völlig klar, was Einsteins Relativität der Zeit bedeutet. Ab dem Zeitpunkt, als das Taxi mit den Eltern in Richtung Flughafen losfuhr, begannen für uns wirklich turbulente Wochen. Völlig im Tunnel und fokussiert auf unser Ziel, blieb gar keine Zeit mehr für Unsicherheit. Und wie das bei richtigen Plänen ist: Man hakt einen Punkt nach dem anderen ab. Mit der Beauftragung der Spedition war der letzte große Punkt auf unserer To-do-Liste erledigt. Ab jetzt gab es keine Gehirnarbeit mehr zu erledigen. Muskelschmalz war gefragt. Noch mehr einpacken und aussortieren.
Letzte Arztbesuche und Impfungen. Planung der Überfahrt und schon war es Dezember. Sportlich war das ganze Jahr eher durchwachsen. Normalerweise haben wir neben Arbeit und sonstigen Verpflichtungen fünfmal die Woche trainiert. Das kam in den letzten 12 Monaten viel zu kurz. Wie schon in anderen Artikeln beschrieben, haben wir viele Arztbesuche nachgeholt und unsere Prioritäten verschoben. Obwohl wir mit einem Schlag acht zusätzliche Stunden zur Verfügung hatten, ließ sich selbst ein komprimiertes Sportprogramm nicht mehr unterbringen. Von wegen Langeweile!
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Fertig – Wir sitzen im Paradies und müssen nicht mehr arbeiten – Warten auf die Langeweile
Wir haben jetzt Mitte Juni und unser Riesenprojekt ist abgeschlossen. Seit über sechs Monaten leben wir auf unserer Trauminsel Lanzarote. Und? Langeweile? Keine Spur! Ganz im Gegenteil. Nachdem wir die Möbel aufgestellt, die Kartons ausgepackt haben, stellen wir fest: Wir haben keine Zeit. So langsam fangen wir wieder mit unseren Routinen an. Sport, Kochen und ganz neu: Siesta. Nach dem Essen gönnen wir uns einen kurzen Powernap. Am Anfang waren wir noch mit Reparatur- und Renovierungsarbeiten in unserer Wohnung beschäftigt. Doch selbst, nachdem alles erledigt ist, fehlt uns immer noch jedweder Bezug zur Aussage „Arbeit wird euch fehlen“. Sicherlich stellen wir uns keinen Wecker, um aufzustehen. Gewohnheiten sind jedoch wirklich schwer abzulegen. Also bleibt es beim Tagesbeginn zwischen 5.00 und 6.00 Uhr. Wir gehen mit dem Hund spazieren, und wenn es mal zwei Stunden werden, weil wir irgendwo einkehren, um etwas zu trinken?
Egal. Wir frühstücken, wir machen Sport, duschen, Essen zubereiten, eine weitere Hunderunde, Siesta, Hunderunde, Abendbrot und fertig ist der Tag. Manchmal gehen wir nach dem Abendbrot noch aus und lassen den Abend am Charco ausklingen. Manchmal arbeiten wir an unserem Blog oder lesen. Ab und zu bearbeiten wir unsere Filme und stellen sie online. Die Einkäufe müssen erledigt werden und Hausarbeiten gibt es auch immer. Aber das Beste an allem: Alles kann, nichts muss und wird doch getan. Bis auf den Gang mit dem Hund haben wir keinerlei Verpflichtungen mehr. Und das macht wirklich einen sehr, sehr großen gefühlten Unterschied aus. Wir leben nun das Leben unserer Wahl. Allerdings ist nicht klar, wann wir spanisch büffeln sollen, ein Instrument erlernen und neue sportliche Herausforderungen entdecken können. Wir haben irgendwie keine Zeit! 🙂
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