Es ist schmutzig, es ist laut, viel Verkehr. Auch! Ja. Schönheit liegt manchmal nicht nur im Auge des Betrachters. Natürlich gibt es immer wieder Menschen, die sich auf das Schlechte und Negative fokussieren. Es stinkt, alles ist kaputt. Viele Geschäfte haben für immer geschlossen. Wie konntet ihr nur dorthin ziehen? Wollen wir diese Aussagen zur Diskussion stellen? Nein! Denn sie stimmen. Für Menschen mit einer grundsätzlich negativen Lebenseinstellung trifft all dies auf Lanzarotes Hauptstadt Arrecife zu. Nebenbei bemerkt: Das trifft wohl auf 99 % aller Hauptstädte dieser Welt zu. Was also ist unsere Idee, genau hier zu leben?
Überragende Infrastruktur – Das ist es, was Arrecife auszeichnet!
Wer es ruhig und einsam bevorzugt, der ist in der Stadt grundsätzlich schlecht beraten. Für uns standen jedoch ganz pragmatische Gründe auf der Entscheidungsliste. Der wichtigste Punkt: Immobilien sind hier günstiger und zahlreicher verfügbar, als im Rest der Insel. Der zweitwichtigste Punkt: Wo können wir ohne Auto gut leben? In Arrecife sind alle Geschäfte des täglichen Bedarfs nicht weiter als 1000 Meter entfernt. Das Gesundheitszentrum, Lebensmittelgeschäfte, Bäcker, Friseur, Physiotherapeuten, Tierarzt. Baumärkte und Einkaufszentrum runden das Ganze gekonnt ab.
Ikea, Aldi und Lidl sind dann etwas weiter entfernt, prinzipiell jedoch fußläufig erreichbar. Knappe zwei Kilometer. Alles ohne Parkplatzsuche oder lange Anfahrt zu erledigen, ist wahrhaft ein Luxus. Das muss man verstehen! Nebenbei sind natürlich Rathaus, Straßenverkehrsamt, Steuerberater usw. hier leicht zu finden. Mit zwei großen Busstationen könnte der Rest der Insel ohne Aufwand erreicht werden. Eine der Stationen liegt am südlichen Ende der Stadt, die andere ungefähr in der Mitte. Damit ist die lebensnotwendige Infrastruktur im Groben aufgezählt. Doch der wahre Schatz der Stadt zeigt sich erst bei genauerem Hinsehen.
Arrecife, eine Stadt voller Kultur, Freizeitangeboten, Konzerten und Events.
Ebenso nah wie Einkaufsstraße und Co. sind die kulturellen Veranstaltungsorte und Sehenswürdigkeiten. Zentral gelegen gibt es ein großes Kino mit mehreren Sälen, mehrere Theater, Marktplätze, die oft als Bühne dienen, perfekt restaurierte Castillos mit Ausstellungen. Kunstwerke und Skulpturen an wirklich jeder Ecke. Konzerte für absolut jeden Musikgeschmack. Discotheken und Bars, sowie unzählige Restaurants runden das Spektakel ab. Das Verrückte: Dies alles hat keinen wirklichen touristischen Schwerpunkt. Die Kulturangebote sind größtenteils auf hier lebende Insulaner ausgerichtet. Und das bringt uns zum wichtigsten Punkt: das Lebensgefühl in Arrecife! Im Gegensatz zu den touristisch erschlossenen Orten ist man hier am Abend „unter sich“.
Nur wenige Touristen halten sich direkt in der Stadt auf. Die meisten kommen tagsüber, um zu bummeln und verschwinden gegen Abend in den Hotelanlagen in Costa Teguise oder Puerto del Carmen. Das Gleiche gilt für die Kreuzfahrer. In den Wintermonaten wird die Stadt oftmals überrannt. Dann tummeln sich 10.000 und mehr Touristen in den Straßen, Cafés und Bars. Wir vermeiden dann einen Besuch der Innenstadt. Ab 16:00 Uhr ist dann alles „normal“ und man kann den Tag bei einem Glas Wein oder Bier am Charco de San Gines entspannt ausklingen lassen. Gegen 18.00 Uhr nimmt das Leben wieder Fahrt auf und gegen 19.00 Uhr füllen sich die Bars rund um den kleinen Innenhafen. Wie erwähnt: größtenteils mit Spaniern. Und uns!

Immer die gleichen Menschen – Stadtleben wie im Dorf
Mental fühlt sich das Leben in Arrecife wie Dorfleben an. Im Gegensatz zu den Touristenhochburgen, in denen die Menschen ständig wechseln, läuft man hier immer den gleichen Nachbarn über den Weg. Man grüßt sich, wechselt ein paar Worte und schon hat man einen neuen Bekannten, mit dem man sich ins nächste Café setzt und erzählt, was einem so in den letzten Tagen widerfahren ist. Unser schlechtes Spanisch schreckt die wenigsten ab. Grammatik und Aussprache spielen eher eine untergeordnete Rolle, solange man spannende Dinge zu berichten hat.
Es gibt auf der Insel durchaus Enklaven, die fest in deutscher Hand sind und nur Deutsch gesprochen wird. In Arrecife ist das eher die Ausnahme. Englisch, Italienisch sind hier häufiger zu hören als Deutsch. Und gerade das lieben wir. Wir hatten sehr schnell das Gefühl, „dazu“ zu gehören. Ein Hund erweist sich als echter „Icebreaker“. Einfacher kann man kaum ins Gespräch kommen (mit Kindern funktioniert das wohl auch, allerdings geht man mit denen wohl nicht so oft Gassi). Wir hatten nach wenigen Tagen ein echtes „Wir sind angekommen“ Gefühl. Heute, zwei Jahre später, treffen wir bei jedem Spaziergang Menschen, die wir kennen und mit denen wir gerne ein Schwätzchen halten.
Strandleben mitten in der Hauptstadt – Arrecife, ein wenig Copacabana
Wer vom geschäftigen Treiben der Innenstadt genervt ist, kann sich bei einer kleinen Schwimmrunde abkühlen und entspannen. Im Schatten des Gran Hotels findet sich der Playa del Reducto. Ein rund 500 Meter langer und blitzsauberer Sandstrand mit einigen Schatten spendenden Palmen. Toiletten, behindertengerechte Zugänge, Rettungsschwimmer und Flächen für Beachvolleyball und Fußball runden die Möglichkeiten für eine kurze Auszeit perfekt ab. Durch das vorgelagerte Riff sind Wellen kein Thema. Wer bis zum Riff schwimmt, findet dort eine exzellente Möglichkeit, beim Schnorcheln die Unterwasserwelt zu erkunden.
Danach kann man im Schatten der Palmen ein wenig relaxen. Wer Hunger und Durst bekommt, ist in den Bars direkt an der Promenade gut aufgehoben. Wer einen etwas ruhigeren Strand bevorzugt, findet ihn direkt neben dem Castillo San Gabriel, in dem sich ein Museum befindet. An diesem Strand verirren sich selten Touristen oder große Gruppen. Selbstverständlich gibt es hier öffentliche Toiletten und eine Stranddusche. Da aller guten Dinge immer drei sind: Wer ein wenig Fußweg in Kauf nimmt, findet am entgegengesetzten Ende der Stadt einen kleinen inoffiziellen Strand mit Blick auf den Hafen. Der Platz ist sehr beschränkt, aber nicht minder schön.

Lanzarotes Hauptstadt – Die negativen Seiten
Wie jede Stadt hat auch Arrecife als Inselhauptstadt schöne und weniger schöne Ecken. Echte No-go-Areas gibt es keine. Die Regierung hat erkannt, dass in einigen Stadtteilen investiert werden muss. Straßen, Fußgängerwege und Beleuchtung werden in einigen Teilen von Arrecife massiv aufgewertet. In der ganzen Stadt werden Bäume gepflanzt und öffentliche Plätze verschönert und begrünt. Zur Info: Durch die salzhaltige Luft und die starke Sonnenstrahlung verwittern die Außenanstriche der Gebäude hier deutlich schneller als in Deutschland. Das vermittelt schnell den Eindruck einer „heruntergekommenen“ Gegend.
Wir können euch versichern: In keiner anderen Stadt haben wir bisher so viele Anstreicher bei der Arbeit gesehen wie hier. Ein wirklicher Nachteil ist der chaotische Verkehr. Man merkt an jeder Straße, dass ein Großteil der Stadt aus einer Zeit stammt, als nicht jede Familie zwei oder mehr Autos besaß. Parkplätze sind bis auf einige Parkhäuser kostenfrei und entsprechend selten. Andererseits können wir nicht verstehen, dass jeder unbedingt vor seiner Haustür parken muss. Da das Wetter hier keine Rolle spielt, kann bequem einige 100 Meter entfernt geparkt werden. Aktuell werden mehr und mehr Straßen für Autos gesperrt oder der Verkehr eingeschränkt. Vielleicht erkennt man langsam, dass eine Stadt für Menschen sein sollte? Wir begrüßen diese Entwicklung, selbst wenn unsere Bequemlichkeit darunter leidet (was aktuell nicht der Fall ist).
Warum wir Arrecife so lieben – Back to the 80thies
In den guten alten Achtzigerjahren wurde in unserer Heimatstadt überall gebaut und es gab unzählige Kneipen, in denen man sich traf. Ein Spaziergang von einem zum anderen Ende der Stadt dauerte Stunden. Ständig musste man für einen kurzen Plausch innehalten, bevor es weiterging. Konzerte, Festivals, Schwimmbäder, Büchereien, ein riesiger Schlosspark mit angeschlossenem neuem Freizeitpark und eine komplett restaurierte Altstadt mit kleinen Gassen, mit einer unglaublichen Vielfalt von kleinen Läden war unser Lebensmittelpunkt. Kurzum liebten wir unsere Heimstadt und hätten uns niemals vorstellen können, wegzugehen.
Irgendwann verloren die 80er an Schwung. Politik und Wirtschaft gerieten weiter und weiter in Schieflage. Aus dem gelebten Multikulti der Kohle- und Stahlkultur wurde ein misstrauisches Beäugen und aus dem Weg gehen. Mehr und mehr öffentliche Einrichtungen und Veranstaltungen wurden geschlossen oder eingestellt. Selbst für jemanden wie mich, der bildungsfern und politisch uninteressiert aufwuchs, wurden die gesellschaftlichen Missstände und die Diskrepanz zwischen Leistung und Lohn offensichtlicher.

Tägliche Verbesserung – In kleinen Schritten wird die Hauptstadt immer lebenswerter.
Hier auf Lanzarote hatten wir genau das gegenteilige Gefühl. Überall versucht man den schwierigen Spagat zwischen Tourismus und Erhaltung der ursprünglichen Identität der Insel. Natürlich partizipieren wir von Verbesserung der Infrastruktur, die im Hinblick, auf den immer stärker werdenden Tourismus ausgebaut wird. Wir haben festgestellt, dass viele, die schon länger auf der Insel sind, eine andere Sicht der Dinge haben. Der Gewohnheitseffekt lässt grüßen. Wenn man frisch aus Deutschland kommt und vergleicht, so wird die „Negativ-Liste“ extrem kurz ausfallen.
Wir als Ruhrgebietler sind endlose Staukilometer gewöhnt. So regen wir uns über 500 Meter zähfließenden Verkehr nicht auf. Die Sauberkeit von Arrecife liegt deutlich über dem Niveau deutscher Städte. Ab den frühen Morgenstunden sorgen fleißige Mitarbeiter der Stadt für saubere Straßen. Dort, wo wir herkommen, fegt die Kehrmaschine ein Mal pro Woche, hier jeden Tag. Die Bänke und Gehwege in Arrecife werden regelmäßig nass gereinigt. Es gibt unzählige Mülleimer, die nicht nur gelegentlich oder nach Hinweis geleert werden, sondern regelmäßig. Graffiti sind die Ausnahme und nicht die Regel.
Arrecife ist anders als der Rest von Lanzarote
Arrecife zeigt seine Vorzüge eher verhalten und oftmals erst auf den zweiten Blick. Mitten im Leben zu wohnen, in einem Schmelztiegel unterschiedlichster Menschen und Nationen, ist spannend und nicht immer einfach. Du entscheidest dich nicht für Arrecife, wenn du die Abgeschiedenheit und Einsamkeit suchst. Wer mit dem nötigen Pragmatismus seinen Wohnort wählt, wird erkennen, dass es durchaus Vorteile hat, mitten im Leben zu wohnen. Vereinsamung und Einsamkeit müssen hier nicht gefürchtet werden. Voraussetzung ist, selbst offen und ehrlich auf andere Menschen zuzugehen. Wir haben es uns abgewöhnt, Leute nach ihrer Herkunft, ihrem Beruf oder Einkommen zu bewerten. Jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen.

In Arrecife tritt Neuzeit auf Altertum, Jung auf Alt, Tradition auf Moderne. Kleine Häuschen und große Wohnblocks stehen hier in Eintracht nebeneinander. Wobei Wohnblocks hier nicht Hochhäuser wie auf den anderen Inseln bedeutet. Im Zentrum von Arrecife sind es gerne mal fünf oder sechs Etagen. In den etwas außerhalb liegenden Bezirken eher eine oder zwei. Anders als in den Touristenhochburgen Puerto del Carmen, Costa Teguise und Playa Blanca wechseln die Gesichter hier nicht im 14-tägigen Urlaubsrhythmus.
Mittagsschlaf in der Inselhauptstadt – Siesta in Arrecife
Anders als in den abgelegenen Dörfern wie Haria, Nazareth, Macher oder Arrieta, ist in Arrecife immer etwas los – jedoch nicht zu viel. Zur Siesta, wenn alle Geschäfte geschlossen sind und die Calle Real einsam und verlassen daliegt, kann man die Ruhe genießen. Im Gegensatz dazu steht der Freitagabend, wenn der Charco im wilden Nachtleben erblüht und man das Gefühl hat, dass sich alle Einwohner der Insel hier auf ein Weinchen treffen. Ähnlich ist es in Teguise nur in einem anderen Zeitfenster. Natürlich ist die alte Inselhauptstadt Teguise viel beschaulicher und versprüht ihren antiken Charme in den kleinen Gassen mit den hübschen Boutiquen.
In Deutschland würde über dieses Dörfchen behauptet, dass sich Fuchs und Gans gute Nacht sagen. Zumindest in der Woche. Doch an jedem Sonntag verwandelt sich Teguise in einen wuselnden Moloch. Markttag! Die Touristen fallen mit Mietwagen und Bussen zu Tausenden ein. Sie füllen die sonst so ruhigen Straßen mit jeder Menge Lärm und Trubel. Die Nippes-Händler machen jede Woche gute Geschäfte und die Anwohner haben längst erkannt, dass ein Vorgarten ein hervorragender kostenpflichtiger Parkplatz ist. Danach schlummert Teguise wieder bis zum nächsten Markttag.

Jeden Tag gleich und doch anders – Arrecife ist Abwechslung pur
Wir lieben die tägliche Abwechslung. Wir verlassen das Haus und können aus einer Vielzahl von Restaurants wählen. Ganz ohne Angst, in eine Touristenfalle gelockt zu werden. Wer möchte, kann einen Spaziergang in der neuen Marina machen und ein wenig das Seglerflair genießen. Selbst ein einfacher Spaziergang auf der Avenida führt vorbei an unzähligen kunstvollen Skulpturen und wird so zum Highlight des Tages. Arrecife liegt in der Mitte zwischen dem Norden und Süden von Lanzarote. Ein idealer Ausgangspunkt für Unternehmungen aller Art. Die Strandpromenade mit ihrer Gesamtlänge von mehr 25 Kilometern lädt zu langen Spaziergängen zu jeder Tageszeit ein. In runden 30 Minuten lassen sich die meisten Orte der Insel mit dem Auto erreichen.
Alternativ zum Auto können die regelmäßig fahrenden Busse genutzt werden, um von der „estation de Guagas“ einen Ausflug zu starten. Kino, Kultur, Konzerte, Ausstellungen. Wer hier nicht auf seine Kosten kommt, dem ist nicht zu helfen. Doch genug der Lobhudelei auf Arrecife. Wir haben unser neues Zuhause gefunden. Ein wenig wie unser Altes und doch ganz anders. Einen Kritikpunkt haben wir gefunden: Radfahren. Wer nicht über einschlägige Erfahrung als Radkurier in einer Großstadt verfügt, sollte Arrecife komplett meiden. Die teilweise unübersichtliche Verkehrsführung, die sehr engen Straßen und die Abwesenheit von Radwegen machen das Velo ziemlich unattraktiv. Aber sonst? Kommt vorbei und macht euch selbst ein Bild. Manchmal ist es eben Liebe auf den zweiten Blick. Unsere Empfehlung: Macht eine Woche Urlaub in Arrecife und taucht in das quirlige Stadtleben ein. Ihr werdet es sicher nicht bereuen!
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