Mehr Sport, mehr Zeit, mehr Sonne, mehr Lebensqualität! Entschleunigter Alltag und mehr Fokus auf die eigenen Hobbys. Das sind einige Gründe für unseren Traum Auswanderung. Wer uns kennt weiß, dass wir in Deutschland fast täglich Sport gemacht haben: Laufen, Biken, Fitnessstudio und sonstige Aktivitäten gehörten fest in unseren Tagesablauf. Immer mussten wir uns diese Zeit irgendwo stehlen. Wer weiss, dass Sport nicht nur Zeitvertreib, sondern eine Lebenseinstellung ist, der wird verstehen, warum wir damit soviel Lebenszeit „verschwenden“. Ausdauer beschreibt eigentlich das ganze sehr gut. Aus der Dauer entsteht der Nutzen. Und das, genau das, dauert! Irgendwie war Sport in Deutschland immer mit einem Blick auf die Uhr verbunden. Essen, einkaufen, Hundespaziergang, Reparaturen am Haus und ja, auch Arbeit sorgten für ein Gefühl des immer gehetzt seins.
Mit Corona wurde sportlich eigentlich alles besser
Viele in unserem Bekannten- und Freundeskreis beklagten sich in einer Tour über die vielen Einschränkungen durch Corona. Die einzige Einschränkung, die in Deutschland wirklich vorhanden war und ist, ist die Einschränkung im eigenen Kopf. Ja, die Fitnessstudios hatten geschlossen. Doch das konnte man von Wald und Wiese nicht behaupten. Neben Gewichte stemmen gibt es nämlich eine Millionen anderer Sportarten, die man hätte betreiben können. Mit dem Homeoffice hielt ein wenig Flexibilität in unseren Sportalltag Einzug. Er war zwar immer noch durch die Uhr diktiert, jedoch war die Zeit frei wählbar. Mein damaliger Arbeitgeber hat dummerweise Homeoffice ganz und gar nicht verstanden. Eine Zeit lang habe ich meine Arbeitszeit um eine Stunde vorverlegt.
Homeoffice, Corona und viele andere Dinge haben uns bestärkt
Ich habe 60 Minuten Mittagspause gemacht und bin Laufen gegangen. Feierabend war dann gegen 16.00 Uhr anstelle von 16.30. So konnte ich am Abend noch eine zusätzliche Trainingsrunde einlegen oder ausgiebiger mit dem Hund gehen. Doch dummerweise hatte ich die Rechnung ohne die Neider gemacht. Soviel Freiheit und Selbstbestimmtheit war nicht im Homeoffice vorgesehen. Ein kurzer Anruf vom Chef und der Vorteil der freien Arbeitsplanung war Geschichte. Tja, wenn man Leistung an Uhrzeit bindet. Bitte! Dann Dienst nach Vorschrift. Eine weitere Hilfestellung für unser Projekt: Glücklich ohne Arbeit. So fällt es immer leichter sich von den, in diesem Falle, schlechten Gewohnheiten zu trennen.
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Alte Sport-Gewohnheiten raus – neue Sport-Gewohnheiten rein
Das letzte Jahr in Deutschland war von vielen Dingen geprägt. Vorbereitung der Auswanderung, Entrümpelung unseres Hab und Guts. Nachholen von zig verschobenen Arztterminen und Operationen. Durch die vielen Unterbrechungen fiel es unglaublich schwer, sich zum Sport zu motivieren. Zahn gezogen. Zack, eine Woche Pause. Nasenscheidewand begradigt, zack, vier Wochen Pause. Oberlid-OP, zack, 14 Tage Pause. Zweite Nasenoperation, 14 Tage Pause. So zog sich die Unregelmäßigkeit im Training durch das ganze Jahr. Gefühlt war es nach jeder Pause schwerer wieder einzusteigen. Plötzlich merkt man: Routine und Hamsterrad haben durchaus Vorteile. Sie führen dich im Autopilot-Modus durch das Leben. Unliebsame Dinge lassen sich ganz locker erledigen.
Nicht mehr viel nachdenken – Einfach das Leben genießen
Du denkst einfach über viele Sachen nicht nach. Aufstehen, frühstücken, Hundespaziergang, Duschen, Arbeiten, Sport, Hundespaziergang, essen, chillen, schlafen. Und wieder von vorne. Tagein, tagaus. Am Wochenende werden die acht Stunden Arbeit durch Gartenarbeit und Reparaturen am Haus ersetzt. Gelegentlich geht es auch mal zu Veranstaltungen und Feierlichkeiten. Doch dann fühlt man sich gleich unwohl und überlegt sich, ob das normale Pensum an Aufgaben noch zu schaffen ist.
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Die wahre Superpower: Disziplin lässt dich alles erledigen
Plötzlich ist der Tag dann da: keine Verpflichtung im Job mehr. Acht Stunden zur freien Verfügung. Das Erste, was sich geändert hat: Schlafgewohnheiten. Ich gehe früher ins Bett und stehe später auf. Endlich ausreichend Schlaf. Die begradigte Nasenscheidewand verbessert die Schlafqualität zusätzlich. Voller Tatendrang beginnt der Tag dann um 6.00 oder 7.00 Uhr. Dummerweise hat der Hund dann noch gar keine Lust, den Tag einzuläuten. Ich kann ganz in Ruhe Kaffee trinken. Da wir den Scherpenberger Wald gegen den Charco de San Gines eingetauscht haben, entfällt zumindest das Anziehen der „Hundespaziergehklamotten“. Hier gibt es weder Schlamm noch Regen. Gegen 9.30 Uhr haben wir zwei oder drei (meist der Hund und ich) unseren Spaziergang beendet.
Routine im Paradies – Gar nicht so schlecht
Während der Hund einen Verdauungsschlaf einlegt, pelle ich mich in die Laufklamotten und stelle jedes Mal fest: Disziplin ist die wahre Superpower. Sie lässt dich Dinge erledigen, auf die du keine Lust hast. Bei dem geilen Wetter laufen? Ja! Auf jeden Fall! ABER: Den Vorsatz, jeden Tag Sport zu machen, habe ich bereits fallen lassen. Jeden zweiten Tag etwas für die Gesundheit tun, sollte ausreichen. An den freien Tagen erledige ich anfallende Reparaturen, Aufräumarbeiten, Putzaufgaben und arbeite an den Videos sowie am Blog.
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Leider letzteres in weitaus geringerem Umfang als geplant, gedacht und gehofft. Entschleunigung klappt in dem Fall etwas zu gut. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich damit ab und zu schlecht fühle. „Hättest du nicht lieber was Produktives erledigen können, anstatt einen Mittagsschlaf zu halten?“ Zum Glück verschwindet das Gefühl so schnell, wie es gekommen ist. Ganz besonders, wenn man bei der Hunderunde in eine der vielen Bars sitzen kann und dem Schaukeln der Boote im Charco zuschaut. Was soll ich sagen? Zack, ist ein Tag um. So oder so.
Es fühlt sich nicht verkehrt an, die Seele einfach mal baumeln zu lassen und in den Tag hinein zu gammeln. Nach mehr als 35 Jahren im „Hamsterrad“ muss das erlaubt sein. Objektiv ist das Hamsterrad gar nicht so übel gewesen. Es hält die Welt am Laufen. Die vielen 9-to-5 Jobs sind es, die das Wirtschaftswunder fortführen. Nicht die vermeintlichen „Aussteiger“. Insoweit fühlt man sich schon ein wenig nutzlos. Aber damit kann ich gut umgehen. Immerhin liegen wir niemanden auf der Tasche.
Die neue Routine will oft durchbrochen werden
Neben unseren alten Hobbys, wie das Laufen, versuchen wir neue zu etablieren. Das Filmen ist anspruchsvoller als gedacht und benötigt mehr Zeit. Wir verbringen ganz bewusst Zeit mit den Eltern. Ich höre wieder konzentriert und ohne Ablenkung Musik – das erste Mal seit bestimmt 20 Jahren. Nicht als Hintergrundbeschallung, sondern ganz gezielt als Erlebnis. Ein echter Genuss. Der Zauberwürfel will gelöst werden und unendlich viele Bücher stehen auf meiner Leseliste. Doofer weise wird die immer länger anstatt kürzer. In der sich langsam manifestierenden neuen Routine fehlt unsere Absicht Spanisch zu büffeln, Surfen und Kiten zu lernen oder mit den Bikes die Insel zu erkunden. Viele andere Dinge wollen hier auf der Insel entdeckt oder ausprobiert werden. Aber hey, wir haben leider keine Zeit. Kommt euch das bekannt vor?
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